OGH Entscheidung zu AGB-Klauseln eines Rechtsschutzversicherers (OGH 7 169/22m)

Erstellt von Mag. Bianca Holzer |
Zivilrecht , Allgemeine Vertragsbedingungen

Der OGH hatte folgende 3 Klauseln in AGB eines Rechtsschutzversicherers zu prüfen, da zT noch keine Rechtsprechung des OGH vorlag:

1. Klausel 1:

„Kein Versicherungsschutz besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen […] in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind.“

OGH: Die Klausel regelt einen Risikoausschluss für hoheitsrechtlichen Anordnungen, die aufgrund einer Ausnahmesituation an eine Personenmehrheit gerichtet sind, zB behördliche COVID-19-Anordnungen (Bescheide). Die COVID-19-Pandemie kann eine solche Ausnahmesituation sein. Der OGH beurteilte bereits in der Entscheidung 7 Ob 42/21h einen solchen Risikoausschluss zwischen zwei Unternehmen (iZm einer Betriebsunterbrechungsversicherung) als nicht gröblich benachteiligend gem § 879 Abs 3 ABGB.

Für Verbraucher ist die Klausel intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG. Der OGH bemängelte, dass der Begriff „Ausnahmesituation“ unklar ist (nicht hingegen die anderen verwendeten Begriffe). Im allgemeinen Sprachbereich bestehen keine klaren Kriterien, die eine zweifelsfreie Zuordnung jeder möglichen Situation entweder als Regelfall oder als Ausnahme zulassen. Der nicht näher erklärte Begriff lässt zahlreiche Interpretationen zu, die von der bloß unüblichen Situation bis hin zum nicht beherrschbaren außerordentlichen Zufall (iSd § 1104 ABGB) reichen. Da der Verbraucher aber die Reichweite des Risikoausschlusses – und damit seine Rechtsposition – nicht verlässlich abschätzen kann, besteht die Gefahr, dass er aufgrund des unbestimmten Begriffs „Ausnahmesituation“ davon absieht, allenfalls berechtigte Ansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen.

2. Klausel 2:

„Schadenersatz- und Straf-Rechtsschutz für den Privat-, Berufs- und Betriebsbereich [...]

Straf-Rechtsschutz

für die Verteidigung in Strafverfahren vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden […]

unabhängig vom Verfahrensausgang besteht kein Versicherungsschutz, wenn der Versicherte bereits mindestens ein Mal rechtskräftig wegen eines einschlägigen Vorsatzdeliktes verurteilt wurde.“

OGH: Die Klausel regelt einen Risikoausschluss. Es soll kein Versicherungsschutz im Straf-Rechtsschutz bestehen iZm der Strafverfolgung wegen vorsätzlichen Handlungen und Unterlassungen, wenn der Versicherte bereits mind. 1x rechtskräftig wegen eines einschlägigen Vorsatzdelikts verurteilt wurde. Ein Versicherungsnehmer hat stets mit Risikoausschlüssen und -begrenzungen zu rechnen. Der Versicherer kann bestimmte Risiken vom Versicherungsschutz ausnehmen, wenn

  • dies für den Versicherungsnehmer klar erkennbar geschieht,
  • die Klausel objektiv gewöhnlich und branchenüblich ist sowie
  • die Klausel an systematisch richtiger Stelle genannt ist.

Diese Voraussetzungen treffen zu. Der Risikoausschluss ist sachlich gerechtfertigt, angemessen und auch für den einschlägig vorbestraften Versicherungsnehmer voraussehbar. Mag auch der Begriff der „einschlägigen“ Vorverurteilung in Randbereichen auslegungsbedürftig sein, ist dieser Begriff dennoch transparent. Die Klausel verstößt daher nicht gegen § 864a ABGB oder gegen § 879 Abs 3 ABGB und ist nicht intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG.

3. Klausel 3:

„Wer wählt den Rechtsvertreter aus, durch wen und wann wird dieser beauftragt und was hat bei Vorliegen einer Interessenkollision zu geschehen?

[...]

Das Wahlrecht bezieht sich nur auf Personen, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gerichtes oder der Verwaltungsbehörde haben, die für das durchzuführende Verfahren in erster Instanz zuständig ist. Wenn am Ort dieses Gerichtes oder dieser Verwaltungsbehörde nicht mindestens vier solche Personen ihren Kanzleisitz haben, erstreckt sich das Wahlrecht auf eine im Sprengel des zuständigen Landesgerichtes ansässige vertretungsbefugte Person.“

OGH: Der OGH entschied bereits in seiner Entscheidung 7 Ob 156/22x eine inhaltsgleiche Klausel. Eine Klausel ist unvollständig und intransparent, wenn das freie Anwaltsrecht auf Personen eingeschränkt wird, die ihren Kanzleisitz am Ort des Gericht oder der Verwaltungsbehörde haben. Die Klausel beachtet nicht die Rechtsprechung des EuGH, wonach ein nicht ortsansässiger Rechtsanwalt gewählt werden kann, wenn sich dieser bereit erklärt, seine Leistungen wie ein ortsansässiger Rechtsanwalt zu verrechnen. Damit wird der Sinn und Zweck der Klausel (kostensparende und prämiensenkende Wirkung) gewahrt.

Die Klausel verletzt das Transparenzgebot, weil in ihr diese wesentliche Information weggelassen wird und dadurch geeignet ist, beim Versicherungsnehmer eine unrichtige Vorstellung von seinen Rechten zu erwecken und ihn von der Verfolgung berechtigter Ansprüche abzuhalten. Die Klausel ist daher unzulässig.