1. Hintergrund
1.1 Die Richtlinie (EU) 2019/1 vom 11.12.2018 zur Steuerung der Weltbewerbsbehörde der Mitgliedsstaaten im Hinblick auf eine wirksame Durchsetzung der Weltbewerbsvorschrift und zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierenden Binnenmarktes („ECN+ Richtlinie“) soll eine stärkere Harmonisierung und wirksamere Durchsetzung der europäischen Wettbewerbsregeln sicherstellen. Zahlreiche Regelungen (zB. Unabhängigkeit) waren in Österreich bereits verankert, daher waren nur „geringfügige“ Anpassungen notwendig. Neben dieser EU-Richtlinie setzte der Gesetzgeber zudem Änderungen aus dem Regierungsprogramm 2020 – 2024 um. Die Novelle trat mit 10.09.2021 in Kraft. Die neuen Regelungen bezüglich der Zusammenschlüsse (Umsatzschwelle, Untersagungsgründe, Anmeldegebühren) sind aber erst auf Zusammenschlüsse ab dem 1.1.2022 anzuwenden (§ 86 Abs 12 KartG, 21 Abs 10 WettbG).
2. Ausnahmen vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen
Wettbewerbsbeschränkungen sind ausnahmsweise zulässig, wenn „die Vorteile die Nachteile überwiegen“. Bereits bekannt sind zB die Verbesserung der Warenerzeugung oder die Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts und der angemessenen Beteiligung der Verbraucher am Gewinn.
Neu ist die Ausnahme in, dass der Gewinn „zu einer ökologisch nachhaltigen oder klimaneutralen Wirtschaft wesentlich beiträgt“.
3. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
3.1 „Vermittler“ bzw „Gatekeeper“ § 4 Abs 1 Z 2 KartG
Bei der Beurteilung einer marktbeherrschenden Stellung sind zusätzlich zur „Finanzkraft, die Beziehungen zu anderen Unternehmern, die Zugangsmöglichkeiten zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, und jene Umstände zu berücksichtigen, die den Marktzutritt für andere Unternehmer beschränken“
- die Bedeutung seiner Vermittlungsdienstleistungen für den Zugang anderer Unternehmer zu Beschaffungs- und Absatzmärkten,
- der Zugang zu wettbewerblich relevanten Daten und
- der aus Netzwerkeffekten gezogene Nutzen
zu berücksichtigten.
3.2 Relative Marktmacht (§ 4a KartG)
Die relative Marktmacht wird nun als eigenständiger Tatbestand in § 4a KartG geregelt. Weiters wird die Begründung der Aufrechterhaltung gleichgestellt. Daher ist eine überragende Marktstellung auch dann anzunehmen, wenn ein Unternehmer nicht nur zur Aufrechterhaltung, sondern auch bei Begründung von Geschäftsbeziehungen (Warenkauf sowie Dienstleistungen) auf den „Gatekeeper“ angewiesen ist. Diese Marktmacht kann auch festgestellt werden, siehe unten.
4. Zusammenschlussverfahren / Fusionskontrolle:
4.1 Zweite Inlandsumsatzschwelle gem § 9 Abs 1 Z 2 KartG
In Zukunft müssen Zielunternehmen einen Umsatz von mindestens EUR 1 Mio in Österreich haben. Damit sollen sich laut der Bundeswettbewerbsbehörde die Bagatellverfahren um über 40 % vermindern.
Um das Budget der Bundeswettbewerbsbehörde sicherzustellen, wird die Anmeldegebühr gem § 10a Abs 1 WettG von € 3.500,00 auf € 6.000,00 erhöht.
4.2 Erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbs § 12 Abs 1 b KartG
In Zukunft hat das Kartellgericht einen anmeldepflichtigen Zusammenschluss zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass
- durch den Zusammenschluss eine marktbeherrschende Stellung (§ 4) entsteht oder verstärkt wird oder
- wirksamer Wettbewerb sonst erheblich behindert wird. Damit wird der unionsrechtliche Prüfungsmaßstab („SIEC“ – Significant Impediment of effective Competition) auf nationaler Ebene eingeführt.
5. Neue Rechtfertigungsgründe für Zusammenschlüsse (§ 12 Abs 2 KartG)
Ein Zusammenschluss ist nicht zu untersagen, wenn zu erwarten ist, dass durch den Zusammenschluss
- Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten, die die „Nachteile des Zusammenschlusses“ (bisher: „Nachteile der Marktbeherrschung“) überwiegen,
- die Erhaltung oder Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen notwendig und volkswirtschaftlich gerechtfertigt ist, oder
- die volkswirtschaftlichen Vorteile die Nachteile des Zusammenschlusses erheblich überwiegen.
Bei den ersten beiden Rechtfertigungsgründen wird lediglich der Wortlaut „Martbeherrschung“ auf „Zusammenschluss“ geändert, damit dieser Rechtfertigungsgrund auch für den neuen Untersagungsgrund („erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbs“) anzuwenden ist.
Unter volkswirtschaftliche Vorteilen sind „vor allem Wachstum, Innovation und Vollbeschäftigung“, aber auch „Erhöhung des Wohlstands, die nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität durch Beschäftigungssicherung, Einkommenswachstum und faire Einkommensverteilung“ zu verstehen.
6. Entscheidungen
6.1 Verpflichtungszusagen (§ 27 KartG)
Zur Vermeidung eines Abstellungsverfahren kann das Kartellgericht Verpflichtungszusagen der beteiligten Unternehmer annehmen und für bindend erklären. Fortan muss das Kartellgericht nach dem Vorbild der Kommission auch Stellungnahmen der Marktteilnehmer berücksichtigen.
6.2 Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung § 28a KartG
Wenn digitale Unternehmen als Vermittler („Plattformen“) tätig sind, kann es schnell zu einer marktbeherrschenden Stellung bzw zu einer „erheblichen Behinderung des Wettbewerbs“ kommen. Einerseits werden sowohl Kunden sowie Endabnehmer beeinträchtigt, andererseits werden potentielle Konkurrenten dieser Plattformen davon abgehalten, in den Markt einzutreten.
Der neue § 28a KartG sieht fortan eine Feststellungsmöglichkeit des Kartellgerichts vor, wenn ein Unternehmer auf einem mehrseitigen digitalen Markt marktbeherrschend ist (§ 4). Die Feststellung erfüllt einerseits eine Warn- und Signalfunktion und bereitet andererseits ein mögliches darauffolgendes Missbrauchsverfahren vor.
7. Kronzeugen (§ 11b WettbG)
Künftig wird die Verpflichtung des Kronzeugen, die eigene Mitwirkung am Verstoß einzustellen, eingeschränkt, damit die Integrität der Untersuchung nicht gefährdet wird.
8. Akteneinsicht / Schwärzung
Die Rechte zur Einsicht in Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen werden auf Parteien und auf die Zwecke der Ausübung ihrer Verteidigungsrechte eingeschränkt. (§ 39 Abs 2 KartG)
Den Parteien können zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen beantragen, Textpassagen aus der Entscheidung des Erstgerichts auszunehmen. (§ 49 Abs 2a KartG)
9. Wahrung der Grundrechte (§ 13 Abs 1 WettbG)
Die Wettbewerbsbehörde ist verpflichtet, bei der Ausübung ihrer Befugnisse die Einhaltung der Grundrechte (inkl Charta der EU) einzuhalten.
10. Weitere Änderungen
- Änderung der Geldbußen (§§ 29, 31 KartG; Neue Geldbußentatbestände, Haftung der Rechtsnachfolger / im Konzern, Haftungsgrenzen).
- Änderung der Verjährungs- und Hemmungsristen (§ 35 Abs 2 KartG.)
- Zuständigkeitsregelungen und Berichtspflichten (zwischen Bundeswettbewerbsbehörde und Bundesministerium).
- Veröffentlichung von Entscheidungen (§ 37 KartG; Feststellungsentscheidungen, Geldbußen, einstweilige Verfügungen, Verpflichtungszusagen etc).
- Beschränkung der Nutzung kartellrechtlicher Beweismittel.
- Zusammenarbeit der Kartellbehörden (Zustellungen, Einbringung von Strafen (§ 3a KartG), Austausch von Kronzeugenerklärungen (§ 83a KartG), Amtshilfe (§§ 35a bis 35e KartG))