Neuregelungen zur Handysicherstellung: Im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Grundrechten

Erstellt von Mag. Sylvia Unger |
Zivilrecht

1. Hintergrund

Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) machten eine Neuregelung der Sicherstellung von Datenträgern erforderlich. Die Entscheidungen behandeln das Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen der Strafverfolgung und den Grundrechten auf Privatleben und Datenschutz. Die bisher geltenden Regelungen zur Sicherstellung von Gegenständen werden mit 01.01.2025 aufgehoben – eine Neuregelung befindet sich derzeit (November 2024) in der Gesetzeswerdung. Das Justizministerium hat bereits am 11.11.2024 einen Erlass veröffentlicht, der Leitlinien für die Handysicherstellung in der Praxis festlegt und die Vorgaben der Höchstgerichte berücksichtigt. 

1.1 Entscheidung des VfGH 

Mit seinem Erkenntnis vom 14.12.2023 (G 352/2021-46) hob der VfGH die Bestimmungen des § 110 Abs 1 Z 1 und Abs 4 StPO und des § 111 Abs 2 StPO zur Sicherstellung von Datenträgern als verfassungswidrig auf. Die betroffenen Bestimmungen treten mit 31.12.2024 außer Kraft. Der VfGH hielt fest, dass bei der Auswertung eines sichergestellten Datenträgers umfassende Information über das Leben der betroffenen Person erlangt werden könne und die Sicherstellung deshalb einem strengeren Prüfungsmaßstab unterliegen müsse, als das bei anderen Gegenständen der Fall ist. Daraus leitete der VfGH das Erfordernis einer richterlichen Bewilligung ab. Die Sicherstellung bedurfte bis jetzt keines konkreten Schweregrades der Straftat und auch die Daten Dritter waren nicht ausreichend geschützt. 

1.2 Entscheidung des EuGH

Mit Urteil vom 04.10.2024 (C-548/21) stufte auch der EuGH den Eingriff der strafrechtlichen Bestimmungen in die Grundrechte als schwerwiegend ein. Er fordert klare Regelungen und eine sorgfältige Interessenabwägung zur Schwere des Eingriffs in die Grundrechte, der Natur und Sensibilität der Daten, des Betroffenenkreises, der Relevanz der Daten und dem verfolgten Ziel. Betroffene Personen müssen über die Verarbeitung, den Zweck der Verarbeitung und ihr Recht auf Beschwerde informiert werden. 

 

2. Erlass des Justizministeriums vom 11.11.2024

Durch den im Erlass (Link) enthaltenen Leitfaden soll schon vor der Neuregelung eine verfassungs- und insbesondere unionsrechtskonforme Rechtsanwendung gewährleistet werden. Das Urteil des EuGH bindet die Gerichte der Mitgliedstaaten nämlich ab sofort. Nach der VfGH-Entscheidung ist eine Neuregelung ab 01.01.2025 erforderlich, da zu diesem Zeitpunkt die alten Regelungen aufgehoben werden. Das Justizministerium hält daher fest: bei dem Erlass handelt es sich um eine Übergangsregelung und keinen Ersatz für die gesetzliche Neuregelung. 

Zusammengefasst sieht der Leitfaden ua vor: 

  • die Vornahme einer Interessenabwägung und Darlegung dieser in der Anordnungsbegründung der Staatsanwaltschaft,
    • Bei Gefahr in Verzug ist eine eigenmächtige Sicherstellung möglich, jedoch muss die Begründung umgehend nachgeholt werden.
  • die Heranziehung des gelindesten Mittels zur Datenbeschaffung,
  • den Umfang der Auswertung der sichergestellten Datenträger auf das erforderliche Maß zu beschränken,
    • Festlegung von Datenkategorie/Dateninhalten, Zeitraum und Ermittlungszweck.
  • Bei Schaffung eines nicht nur punktuellen Bildes des Verhaltens des Betroffenen, ist ohne vorherige Sicherstellungsanordnung die Beschlagnahme des Datenträgers und der Daten gem § 115 StPO zu beantragen.
    • Damit soll die Notwendigkeit der richterlichen Bewilligung erfüllt werden.
  • die transparente Vorgehensweise bei der Auswertung von Daten.
    • Nachvollziehbar und überprüfbar, Mitwirkungsmöglichkeit von Beschuldigten.

Zudem ist die Staatsanwaltschaft zur amtswegigen Löschung von entgegen den Bestimmungen der StPO ermittelten und zum Akt genommenen personenbezogenen Daten verpflichtet.

 

3. Stand der gesetzlichen Neuregelung

Das Justizministerium legte vor dem Sommer 2024 einen Entwurf vor, dem einige Monate der Verhandlung folgten. Eine zeitgemäße Neuregelung ist wichtig, weil das Erkenntnis des VfGH alle Regelungen zur Sicherstellung von Gegenständen aufhebt und in Ermangelung einer neuen Regelung gar keine Gegenstände zu Beweiszwecken mehr sichergestellt werden dürften. Am 20.11.2024 brachten die Regierungsparteien einen Antrag im Nationalrat ein. Der Beschluss folgte am 11.12.2024. Mit dem geplanten Inkrafttreten am 01.01.2025 wird die Beschlagnahme von Daten und Datenträgern erstmals durch einen Rechtsrahmen geregelt, der speziell für diese Ermittlungsmaßnahmen konzipiert ist. 

Die Hauptgesichtspunkte des Gesetzesentwurfs sind: 

  • Einführung einer neuen Ermittlungsmaßnahme für die „Beschlagnahme von Datenträgern und Daten“, wobei diese Maßnahme von der Beschlagnahme „gewöhnlicher“ Gegenstände getrennt wird.

  • Erfordernis einer vorherigen gerichtlichen Entscheidung.

  • Verpflichtung zur Angabe der Datenkategorien, des Zeitraums und des Dateninhalts durch die Staatsanwaltschaft (und das Gericht) bei der Anordnung einer solchen Maßnahme.

  • Im Entwurf sind drei Schritte für die Verarbeitung bzw Aufbereitung der Daten vorgesehen:

  1. Originalsicherung

  2. Arbeitskopie

  3. Durchführung der Aufbereitung der Daten anhand der Arbeitskopie und anschließendes Ergebnis der Datenaufbereitung und Erstellung eines Aufbereitungsberichts. 

    → Ausgewertet wird in der Folge nur der begrenzte Datenbestand als Ergebnis der Datenaufbereitung.

  • Zufallsfunde können weiterhin herangezogen werden. Betroffen ist jedoch nur das Ergebnis der Datenaufbereitung. Durch die Beschränkung der Auswertung auf die aufbereiteten Daten, wird die Wahrscheinlichkeit von Zufallsfunden also verringert. Enthalten die aufbereiteten Daten Hinweise auf eine Straftat, die außerhalb des bewilligten Zeitraums liegen, kann eine neue Bewilligung beantragt werden. 

  • Die Befugnis der Rechtsschutzbeauftragten wird ausgebaut. Sie werden in Bezug auf die neuen Maßnahmen als unabhängige Aufsicht tätig.

  • Durchführung von Nichtigkeitssanktionen, wenn die Maßnahme nicht rechtmäßig angeordnet und genehmigt wurde.

  • Umsetzung des Rechts von Verdächtigen und Opfern auf Beteiligung an der Ermittlung der für die Ermittlungen oder das Strafverfahren relevanten Fakten.