Entfernen der hineinhängenden Äste eines Baumes an der Grundstücksgrenze erlaubt ?

Erstellt von Mag. Christoph Fasching, MBA |
Liegenschaftsrecht , Zivilrecht

 

1. Sachverhalt:

Nachbar A (Kläger) und Nachbar B (Beklagter) sind Eigentümer zweier benachbarter Liegenschaften. Nachbar B pflanzte im Jahr 2009 mehrere Hainbuchen entlang der Grundstücksgrenze.

Im Jahr 2020 ließ Nachbar A die Grundstücksgrenze neuerlich vermessen. Dabei wurde festgestellt, dass sich nicht alle Hainbuchen zur Gänze auf der Liegenschaft des Nachbarn B befinden, sondern teilweise auf dem Grundstück des Nachbarn A und diese auch künftig weiter in das Grundstück des Nachbarn A hineinwachsen werden. Zusätzlich ragen Äste und Wurzeln der Hainbuche in das Grundstück des Nachbarn A hinein.

Nachbar A begehrte vom Nachbar B die Unterlassung und Beseitigung der herüberwachsenden Wurzeln, Baumstämme, Äste, Zweige und Laub, die nicht durch eine leichte Ausübung des dem Nachbar A zustehenden Selbsthilferechts beseitigt werden können.

 

2. Rechtliche Beurteilung (5 Ob 19/24s):

2.1. Entfernen durch Nachbar erlaubt?

Das Wachsen von Bäumen wird in der Rechtsprechung des OGH grundsätzlich als natürlicher Vorgang gesehen. Es besteht keine Verpflichtung, Bäume oder andere Pflanzen nicht in Grenznähe oder an der Grundgrenze zu pflanzen oder Wurzeln und Äste „rechtzeitig“ abzuschneiden.

Jeder Eigentümer kann die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes oder einer anderen fremden Pflanze aus seinem Boden selbst entfernenund die hineinhängenden Äste abschneiden. Dabei ist aber fachgerecht vorzugehen und die Pflanze möglichst zu schonen.

Der OGH bejaht bei bloß „hereinragenden“ Pflanzen einen Anspruch auf Unterlassung- und/oder Beseitigung nur dann, wenn

  • es durch die Pflanzenteile zu einem konkret gefährdenden und deshalb rechtswidrigen Zustand kommt, oder

  • eine wesentliche Beeinträchtigung der Nutzung des Grundeigentums vorliegt und einen unzumutbaren Zustand herbeiführt.

Diese Voraussetzungen können laut OGH jedoch erst dann angenommen werden, wenn die Ausübung des Selbsthilferecht für den Nachbarn unmöglich, unzumutbar oder nicht zielführend ist.

 

2.2. Miteigentum der Nachbarn an Grenzbäume

Befindet sich ein Baum auf zwei Grundstücken oder wächst ein Baum über die Jahre in das Nachbargrundstück hinein, steht ein solcher Grenzbaum im Miteigentum beider Nachbarn. Jede Maßnahme in Bezug auf den im Miteigentum stehenden Grenzbaum bedarf des Einvernehmens beider Nachbarn (= Miteigentümer).

Bei Uneinigkeit kann bei Verwaltungsmaßnahmen die Zustimmung durch das Gericht ersetzt werden. Ist die mit der Maßnahme verbundene Veränderung – wie etwa das Entfernen des Grenzbaumes – überhaupt als Verfügung zu qualifizieren, kann die fehlende Zustimmung eines Miteigentümers auch nicht durch das Gericht ersetzt werden.

 

3. Fazit:

Laut Rechtsprechung gibt es keine Verpflichtung, die das Pflanzen von Bäume oder andere Pflanzen in Grenznähe oder an der Grundgrenze verbietet oder das „rechtzeitige“ Abschneiden von Wurzeln und Äste vorschreibt.

Ein Nachbar kann fachgerecht und möglichst schonend die in seinen Grund eindringenden Wurzeln eines fremden Baumes oder einer anderen fremden Pflanze aus seinem Boden selbst entfernen und die hineinhängenden Äste abschneiden.

Einen Anspruch auf Unterlassung und/oder Beseitigung von bloß „hereinragenden“ Pflanzen gibt es nur, wenn es durch die Pflanzenteile zu einer konkreten Gefährdung oder wesentlichen Beeinträchtigung der Nutzung des Grundeigentums kommt.

Offen bleibt in der Entscheidung des OGH, ob die von der Rechtsprechung des OGH zum Überwuchs von Ästen und Wurzeln entwickelten Grundsätze auch auf den durch „Überwuchs“ des Stamms im Miteigentum stehenden Baumstamm zu übertragen ist und ob auf den Stamm eines im Miteigentum stehenden Grenzbaumes das Selbsthilferecht zur Anwendung gelangt. Dies musste im konkreten Fall nicht beurteilt werden.