Die Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle (VRUN) – Die Sammelklage „neu“

Erstellt von Mag. Sylvia Unger |
Zivilrecht , Zivilprozessrecht

Hinter dem Namen „Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle“ (VRUN, BGBl I 2024/85) steht ein Gesetzespaket, dass es ermöglicht, grenzüberschreitend und innerstaatlich Verbandsklagen gegen Unternehmen einzubringen. Das Herzstück des VRUN bildet das neu geschaffene Qualifizierte-Einrichtungen-Gesetz (QEG). Darin werden bestimmte öffentliche Stellen (sog. Qualifizierte Einrichtungen) dazu ermächtigt, Verbandsklagen zu erheben.

Ziel des VRUN ist, die Verbandsklagen zu stärken, um im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung wirksamen Schutz der Verbraucher zu gewährleisten.

1. Übersicht

Die Qualifizierten Einrichtungen zur Geltendmachung von Verbandsklagen sind grundsätzlich die in § 29 KSchG genannten öffentlichen Stellen, die schon vor Inkrafttreten der VRUN dazu befugt waren (333/ME XXVII. GP 6). Diese sind vA die WKO, die Bundesarbeiterkammer, der ÖGB und der VKI. 

Neu ist, dass sich auch einzelne Konsumenten an der Verbandsklage beteiligen können. 

 

2. Qualifizierte Einrichtungen

Das QEG bestimmt zwei Arten von Qualifizierten Einrichtungen: für grenzüberschreitende Verbandsklagen und für innerstaatliche Verbandsklagen

Um als Qualifizierte Einrichtung für grenzüberschreitende Verbandsklagen anerkannt zu werden, muss eine juristische Person folgende Voraussetzungen erfüllen (§ 1 Abs 1 QEG):

  1. Tätigkeit von mehr als 12 Monaten vor Antragstellung zum Schutz von Verbraucherinteressen tätig sein samt Regeln in der Satzung, 

  2. keinen Erwerbszweck,

  3. nicht insolvent,

  4. insbesondere Unabhängigkeit von Unternehmern mit Interesse an einer Verbandsklage,

  5. öffentlich zugängliche Informationen über die Einrichtung in klarer und verständlicher Sprache auf der Website 

 

Um als Qualifizierte Einrichtung für innerstaatliche Verbandsklagen anerkannt zu werden, muss eine juristische Person zusätzlich zu den oben genannten Voraussetzungen 2 weitere erfüllen (§ 2 Abs 1 QEG): 

  1. Es muss gesichert erscheinen, dass sie aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit sowie ihrer sachlichen, personellen und finanziellen Ausstattung ihre satzungsmäßigen Aufgaben auch in Zukunft dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und 

  2. sie nicht mehr als 20 % ihrer finanziellen Mittel durch Spenden, unentgeltliche finanzielle Zuwendungen oder Schenkungen bezieht. 

Über die Anerkennung als Qualifizierte Einrichtung entscheidet der Bundeskartellanwalt in beiden Fällen (§ 1 Abs 2 QEG, § 2 Abs 2 QEG). 

 

3. Herzstück: Verbandsklagen auf Unterlassung und Abhilfe

Das QEG bestimmt 2 Arten von Ansprüchen: (§ 5 QEG). 

  • Anspruch auf Unterlassung: Dieser ist auf Beendigung und Verbot eines rechtswidrigen Verhaltens eines Unternehmens gerichtet, wenn dieses die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. 

  • Anspruch auf Abhilfe: Dieser zielt auf eine Leistung des Unternehmens. Er steht zu, wenn aus einem rechtswidrigen Verhalten des Unternehmens einzelnen Verbrauchern Ansprüche gegen das Unternehmen entstanden sind. Der Abhilfeanspruch ist dem Unterlassungsanspruch nachgelagert. Damit er erhoben werden kann, müssen mind. 50 Verbraucher von einem solchen Verhalten betroffen sein. 

 

4. Beitritt durch Verbraucher

Jeder Verbraucher kann bei einem entsprechenden Anspruch durch eine Beitrittserklärung einem Verfahren auf Abhilfe beitreten („Opt-In-Möglichkeit“, vgl 333/ME XXVII. GP 16). Die Frist hierzu beträgt 3 Monate ab Bekanntmachung der Durchführung des Verbandsklageverfahrens in der Ediktsdatei. 

Eine Zurücknahme des Beitritts zum Verbandsverfahren ist nicht mehr möglich (§ 628 Abs 5 ZPO).

 

5. Prozessfinanzierung durch Dritte 

Gemäß § 6 QEG ist eine Finanzierung eines Verbandsprozesses durch Dritte zulässig. Die Qualifizierte Einrichtung kann den Beitritt von Verbrauchern zu Verbandsklagen sogar davon abhängig machen, dass die Verbraucher mit dem Drittfinanzierer einen Vertrag abschließen (§ 6 Abs 1 QEG). 

Wichtig: Der Drittfinanzierer darf weder ein Wettbewerber des beklagten Unternehmens sein noch von diesem in irgendeiner Weise wirtschaftlich oder rechtlich abhängig sein. 

 

6. Pflichten der Qualifizierten Einrichtungen 

Qualifizierte Einrichtungen haben eine aktualisierte Website zu betreiben und müssen dort eindeutig und leicht verständlich folgende Informationen veröffentlichen (§ 7 QEG): 

  • Satzung und Anerkennungsbescheid

  • Kontaktdaten

  • die Tatsache, dass sie eine qualifizierte Einrichtung sind und ob sie grenzüberschreitend oder nur innerstaatlich tätig werden dürfen

  • Satzungszweck und Tätigkeitsbereich

  • Finanzierungsquellen

  • Organisations-, Management- und Mitgliederstruktur 

  • Beschreibung des Verfahrens zur Verhinderung von Einflussnahme

Darüber hinaus haben sie jährlich, spätestens bis 1. April des Folgejahres einen Tätigkeitsbericht zu veröffentlichen, der folgende Informationen enthalten muss (§ 8 QEG):

  • Anzahl und Art der eingebrachten Klagen

  • Art der Verstöße 

  • Ergebnisse der Verbandsklagen

Weiters haben sie über ihre Websites über die in Vorbereitung befindlichen und anhängigen Gerichtsverfahren zu informieren, zB Beklagter, wie dem Verfahren beigetreten werden kann, Ergebnisse abgeschlossener Verfahren (§ 9 QEG). 

 

7. Prozessuale Aspekte – Beitritt, Veröffentlichung, Verjährung 

Qualifizierte Einrichtungen haben für den Beitritt zu Verbandsverfahren ein Formblatt zu erstellen. Darin muss eine Belehrung über Voraussetzungen, Ablauf, Wirkungen und voraussichtliche Kosten des Verfahrens enthalten sein. Die Beitrittsgebühr darf nicht höher als € 250,- sein. Beitrittserklärungen müssen online und offline eingereicht werden können. (§ 9 QEG). 

Für diese Verfahren ist das Handelsgericht Wien ist in erster Instanz zuständig. Eine Gerichtsstandvereinbarung ist unzulässig (§§ 620, 630 ZPO). 

Das Gericht hat die Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens in der Ediktsdatei zu veröffentlichen. Diese Veröffentlichung ist von Amts wegen nach 4 Monaten wieder zu löschen (§ 627 ZPO). Der Prozessgewinner kann beim Gericht einen Antrag auf Urteilsveröffentlichung stellen. Wo und wie veröffentlicht werden soll, wird im Urteil bestimmt. Die Kosten dafür hat der unterlegene Prozessgegner zu tragen (§ 621 ZPO). 

Der Beitritt eines Verbrauchers zu einem Verfahren auf Abhilfe hemmt die Verjährung seines Anspruches rückwirkend mit dem Zeitpunkt der Einbringung der Klage (§ 635 ZPO). 

 

8. Fazit 

  • Das VRUN stärkt die Rechte der Konsumenten und bietet ihnen nun auch die Möglichkeit, den bisher allein klagsbefugten Qualifizierten Einrichtungen im Verbandsprozess beizutreten. 

  • Bisher konnten nur die Qualifizierten Einrichtungen an Verbandsprozessen beteiligt sein. 

  • Wichtigste Instrumente im Verbandsprozess sind die Klage auf Unterlassung und auf Abhilfe.

  • Eine Prozessfinanzierung durch am Verfahren nicht beteiligte Dritte ist zulässig.