1. Sachverhalt
Auf einem Privatweg ereignete sich ein Unfall zwischen einem Radfahrer und einer minderjährigen Fußgängerin. Der Privatweg war nach der Widmung des Eigentümers für Fußgänger und Radfahrer reserviert und entsprechend durch Schilder gekennzeichnet.
Der Radfahrer wollte gemeinsam mit seiner ebenfalls vor ihm radelnden Frau die minderjährige Fußgängerin, die sich auf der rechten Seite des Weges befand, links überholen. Allerdings wechselte die Fußgängerin unmittelbar vor dem Überholen auf die linke Seite des Weges. Die Radfahrer machten sich nicht durch Klingeln oder Rufen bemerkbar. Aufgrund des geringen Abstands und der Bremsung, welche seine Frau vor ihm einleitete, stieß der Radfahrer gegen das Hinterrad seiner Frau und verletzte sich beim Sturz. Auch die beiden Fahrräder wurden beschädigt.
Der Radfahrer klagte die minderjährige Fußgängerin auf Schadenersatz. Der Fahrradfahrer stützte seine Klage auf § 76 StVO (Straßenverkehrsordnung), der es Fußgängern verbietet, eine Fahrbahn überraschend zu betreten. Gibt es keinen gesonderten Gehweg oder ein Straßenbankett, dann hat der Fußgänger den äußeren Fahrbahnrand zu benutzen. Er darf eine Fahrbahn erst betreten, wenn er sich vergewissert hat, dass dadurch keine anderen Straßenbenützer gefährdet werden.
Das Erst- und das Berufungsgericht wiesen die Klage ab.
2. Rechtliche Beurteilung des OGH (OGH 2 Ob 38/23m)
Der OGH stellte fest, dass sich der Unfall nicht auf einem Geh- und Radweg iSd StVO ereignete, da der Weg kein solches Gebotszeichen „Geh- und Radweg“ iSd StVO aufwies. Weiters lag auch keine Fahrbahn iSd StVO vor, weil es sich um einen vom Eigentümer gewidmeten, gemeinsamen Privatweg für Fußgänger und Radfahrer handelte.
Deshalb verneinte der OGH die Anwendung der StVO auf den Unfall und war der Fußgängerin auch kein Verstoß gegen § 76 StVO vorzuwerfen. Auch verneinte der OGH eine analoge Anwendung der StVO für diesen Privatweg, insbesondere das Gebot, eine bestimmte Fußgänger-Gehlinie einzuhalten. Ein Fußgänger muss auf einem solchen gemeinsamen Weg nicht zwingend rechts gehen (keine getrennte Verkehrsführung).
Er besteht aber auch eine allgemeine Rechtspflicht, niemanden in seiner Sicherheit, körperlichen Unversehrtheit oder seinem Eigentum zu gefährden. Daraus werden Sorgfalts- und Verkehrssicherungspflichten abgeleitet. Jedoch haben die beiden Radfahrer kein Warnzeichen (Klingeln, Rufen) abgegeben. Die minderjährige Fußgängerin hatte mangels Warnzeichen darauf vertrauen dürfen, dass kein Radfahrer kommt und diesen ggf. durch ihren Schritt nach links hätte gefährden können. Sie handelte daher nicht rechtwidrig.
3. Fazit
- Will ein Eigentümer auf seinen Privatweg die StVO in Geltung haben, muss er seinen Weg entsprechend beschildern.
- Radfahrer haben auch auf für Fußgänger und Radfahrer gewidmeten Privatwegen vor dem Vorbeifahren zu klingeln oder zu rufen, andernfalls tragen sie bei Unfällen die Konsequenzen bzw. das Risiko eines Schadens.